| Institution und Tod von Paul Klünemann Der Tod / das Ende wird  diskutiert. In der Presse, im Rundfunk, in Internetforen und der Bundestag und  die Regierung spricht über dieses Thema. Kurz – die Gesellschaft diskutiert den  Tod. Diskutiert die Gesellschaft wirklich den Tod, das Ende? Oder geht es um  ganz anderes als im Thema vorgegeben wird? Wenn behauptet wird, dass die  Gesellschaft diskutiert, so wird eine Voraussetzung als gegeben behauptet. Wenn  wir davon sprechen, das der Bundestag über die Patientenverfügung diskutiert  auf Vorschlag der Bundesregierung, so ist das eine Behauptung. Wenn die Presse  über das Recht auf Tod, über Tötung auf Verlangen, über Tötungsorganisationen  berichtet, wird eine  Behauptung  aufgestellt, die so keineswegs zutreffend ist. Denn es berichtet eben nicht die  Presse über Organisationen, sondern es berichtet ein Mensch, eine Person über  andere Personen, die dritten helfen oder vorgeben, beim Sterben zu helfen. Wenn  der Bundestag über ein Gesetz zur Patientenverfügung debattiert, so ist auch  diese Aussage schlicht falsch, denn es diskutiert nicht der Bundestag, sondern  es diskutieren Menschen / Personen innerhalb des Bundestages. Es gibt nicht der  Bundestag ein Votum ab, sondern Personen geben ihre eigenen Voten ab oder  sollten es zumindest. Wenn die Gesellschaft diskutiert, so diskutieren Personen  der Gesellschaft, nicht aber die Gesellschaft als Ganzes.  Mir sind diese Feststellungen  wichtig, denn mit ihnen werden mehrere einfache, fast banale aber daher  offenbar umso schwerer zu verstehende und noch öfter übersehene Fakten  aufgewiesen. Da ist zum ersten der Umstand, das Bundestag, Gesellschaft,  Kirche, Presse, kurz alle Institutionen nur sind, weil Menschen, Personen in  ihnen sind. Personen sind es, die stellvertretende sprechen für die  Institutionen, die sich stellvertretend quasi für die verschiedenen  Institutionen Gedanken machen und diese aussprechen. Die Aussage, dass die  katholische Kirche kritisch zum jetzt geplanten Gesetz zur Patientenverfügung  steht, ist schlicht falsch, denn die Institution Kirche kann nicht stehen. Es  haben sich die Herren dieser Institution Gedanken gemacht und verkünden diese  Meinung als gültig für die katholische Kirche. Die Kirche aber ist nicht, ohne  Personen in ihr, so wenig wie der Bundestag ohne Abgeordnete ist oder eine  beliebige Regierung ohne Minister oder Sekretäre. Gibt es keine Minister mehr,  so gibt es keine Regierung mehr; aber keine Regierung hat deswegen einen Tod  erlitten. Gibt es keine Priester mehr, keine Kardinäle, gibt es keine  katholische Kirche mehr, eine katholische Kirche ist aber – nur weil es sie  nicht mehr gibt – keines Todes gestorben, sie ist überhaupt nicht gestorben;  sie ist nicht mehr. Gibt es keine Personen mehr im Bundestag, gibt es auch  keine Fraktionen mehr – aber keine Fraktion ist deswegen eines Todes gestorben.  Wenn also Bundestag, Kirche, Presse, Regierung, Gesellschaft diskutieren über  Tod und Ende, über Würdigkeit und Unwürdigkeit des Sterbens, so sprechen sie  als Institution über Dinge, die sie selbst nicht betreffen, weil die  Institution nicht vom Diskussionsgegenstand berührt werden kann. Ein Bundestag  stirbt nicht eines Todes, er ist einfach nicht mehr, wenn es keine Personen  mehr in ihm gibt. Eine Gesellschaft stirbt nicht eines Todes, sondern sie ist  nicht mehr, wenn keine Menschen mehr sind. Noch ein Schritt weiter ist zu  gehen: eine Gesellschaft ist bereits nicht mehr, wenn es nur noch einen  Menschen gibt, denn eine einzelne Person bildet keine Gesellschaft. Die  Gesellschaft ist also weniger als jede einzelne Person, denn Person kann noch  sein, wenn Gesellschaft nicht mehr ist.  Institutionen verlöschen,  wenn Menschen sterben ohne einen eigenen, eigenständigen Tod zu sterben. So  können sie auch nicht über den Tod, über das Ende diskutieren, nicht über die  Form und die Gestaltung eines Todes. Sie – alle Institutionen – sind darauf  angewiesen, das Menschen, das Personen sind, weil sie der Personen ihres  Bestandes wegen benötigen. Es wird in dieser Voraussetzung müßig für eine  Diskussion zwischen Institutionen, über Tod und Ende zu sprechen, wenn sie  einerseits den Tod nicht kennen, andererseits aber zwingend lebende Personen  benötigen für ihr eigenes Sein. Alle Institutionen müssen über das Leben  sprechen. Sie können aus Eigeninteresse nicht das Ende, den Tod wollen – auch  wenn sie ihn letztlich nicht verhindern können. Jede Institution muss aber  einen Standpunkt suchen, von dem aus der Tod der Person wenn nicht verhindert,  so doch möglichst außerhalb des Blickfeldes bleibt auch für die Personen  selbst, die sicher sterben werden. Selbstmord, Tötung auf Verlangen, das  Abbrechen oder die Verweigerung einer Behandlung müssen bei jeder Institution  auf Ablehnung stoßen, weil ein solches persönliches Handeln grundsätzlich den  Bestand einer jeden Institution angreift. Selbstmord wird moralisch geächtet,  der Abbruch oder die Verweigerung einer Behandlung durch eine Person für sich  selbst wird einer jeden Person möglichst nicht gestattet. Alles wird getan,  dass es nicht zu einer solchen Entscheidung kommt. Wenn es aber doch zu einer  solchen – institutionell abnormen – persönlichen Entscheidung kommt, so muss von  jeder Institution alles getan werden, dieser Entscheidung keine Weiterungen in  realiter folgen zu lassen.  Das Gemeinte wollen wir an  zwei Beispielen verdeutlichen; zum einen an Hand der Organtransplantation, zum  zweiten an Hand der Patientenverfügung.  Zuerst also zu  Organtransplantation. Gerade in den letzten Tagen hat eine große Zeitschrift  aus dem Apothekenbereich ihrer Ausgabe einen Vordruck eines  Organspendeausweises beigelegt. Begründet wird diese Beilage mit dem  zunehmenden Bedarf von Organen für die Transplantation, um so Leben zu retten.  Entscheidend ist hier das Motiv – Leben retten. Eben dieses Motiv treibt jede  Institution, jeden Verband, jede Gruppe an – ohne Leben von Personen ist  nämlich keine Gruppe, auch die Ärzte, die Bürokratie ist nicht mehr. Allerdings  ist dieses Leben retten nicht möglich ohne den Tod von Personen – eine simple  Tatsache, die allerdings in der ganzen Werbung für die Organspende so gut wie  nicht erwähnt wird. Wird sie aber erwähnt, so ganz am Rand und als wirklich  unvermeidliches Übel, das aber den Unterzeichner eines Organspendeausweises  wahrscheinlich nicht betrifft. Es geht nicht an, selbst bei der Organspende  über den Tod zu sprechen. Jede Institution verhält sich dabei aus sich heraus  völlig richtig: sie kann nicht sterben, sie braucht aber Personen zum eigenen  Sein. So muss jede Organisation über das Leben sprechen ohne überhaupt  gleichzeitig über Tod und Ende sprechen zu können, denn diese Begriffe, dieser  Vorgang existiert für keine Institution. So aber wird den Personen, den  Menschen suggeriert, die Organspende sei eine Vorsorge für sich selbst, denn im  Falle eines Falles wird die zuständige Institution schon ein entsprechendes  Organ aufzutreiben in der Lage sein. Nie aber kommt ernsthaft der gegenteilige  Fall in den Blick, das nämlich die unterzeichnende Person selbst zum Spender  wird – aber genau darum geht es bei der Organspende. Es ist erstaunlich:  niemand ist verpflichtet zum Empfang eines Organs, jeder aber wird zwingend  sterben. Und doch: der Tod spielt selbst da im Denken einer Institution keine  Rolle, wo er doch zwingend Bestandteil einer Aktivität ist. Niemand – weder die  einen Spendeausweis Unterzeichnenden noch Empfänger – interessiert sich für das  Geschehen bei der >Spende<. Noch weiter gehend: niemand darf sich dafür  interessieren, niemand soll sich wirklich dafür überhaupt interessieren. Die  Spende geschieht in der Stille der Nacht, wie die Räuber kommen die Ausweider  zum vielleicht – hoffentlich schon Toten. Aber auch umgekehrt: es wird den  potentiellen Empfängern möglichst das Recht verwehrt, eigenständig zum Empfang  eines Organes zu entscheiden. Die Möglichkeit zum Empfang wird nicht als  Möglichkeit gesehen, sondern die Annahme als Pflicht dargestellt. Das Organ  wird als >Geschenk< dargestellt, ein Versagen der Transplantation als  moralisch unmöglich, ethisch als Undankbarkeit und praktisch als Tötung eines  Anderen angesehen. Die Person, die sich die Freiheit zur eigenen, d.h.  negativen Entscheidung nimmt, wird in die Ecke eines Kriminellen gestellt,  obwohl er und selbst wenn er doch in eigener Freiheit und Verantwortung für  sich selbst die Entscheidung treffen kann.  Damit sind wir bei der  Patientenverfügung, denn nicht weit ist sie von den Vorgängen zur Entscheidung  über den Empfang eines Spendeorganes entfernt. Im Gegenteil ist die  Patientenverfügung im Kern identisch mit der einer Entscheidung einer Person  zur Transplantation. Immer geht es um die Entscheidung einer Person für sich  selbst, es geht um die Entscheidung einer Person zum eigenen Leben und zum  eigenen Sterben. Niemand kennt wirklich die Gedanken einer Person vollständig,  die zu seiner Entscheidung geführt haben; aber die Institutionen interessieren  sich nicht für diese Gedanken und Beweggründe. Die Institution will die Person  mit allen Mitteln; jeder Verlust ist ein Verlust der eigenen Existenzgrundlage.  Die Beweggründe jeder Institution sind also egoistischer Natur, daher  interessiert sich kein Mensch in Institutionen für persönliche Gründe und  Motive des Patienten. Die Folgen sind so eindeutig wie notwendig. So wird die  Patientenverfügung auf den Weg gebracht als Mittel für Personen, die eigene  Entscheidung über sich selbst zu dokumentieren. Tatsächlich allerdings  geschieht etwas völlig anderes: der Gesetzgeber – Regierung; Bundestag-  Fraktionen und wer sonst auch immer in Institutionen – stellt alle möglichen  Restriktionen ein, wenn ein Patient bestimmt hat, bei Eintritt einer  definierten Situation – z.B. des Versagens einer Niere (oder gar Spenderniere) sterben  zu wollen (genauer: nicht noch einmal transplantiert zu werden). Der Wille der  Person wird angezweifelt; es werden Ratio und Intellekt zum Zeitpunkt der Entscheidung  in Frage gestellt, es werden Gutachten gefordert über den geistigen Zustand der  Person zu einem Zeitpunkt, an dem eigentlich seine Entscheidung zum tragen  kommen sollte. Nicht dem Willen einer Person wird entsprochen, sondern im  Gegenteil wird der Person jegliche Würde, jegliche Vernunft und jeglicher  Verstand abgesprochen. Im Kern wird nicht die Würde der Person in Krankheit bis  zum Tod geschützt, sondern die Person wird vollständig entmenschlicht, wird  tatsächlich und gerade durch die Patientenverfügung vom selbst entscheidenden  Subjekt zum willenlosen Objekt von Medizin, Bürokratie und Justiz. Betrachten  wir die umgekehrte Situation: eine Person entscheidet sich für eine  Transplantation, eine Person entscheidet sich für eine Behandlung – und sei sie  noch so sinnlos. Kein Gesetzgeber, keine Institution kommt auf den Gedanken,  Ratio und Intellekt einer solchen Person in Zweifel zu ziehen; niemand kommt  auf den Gedanken, medizinische, psychiatrische oder juristische Gutachten  einzuholen ob des Verstandes einer solchen Person und dem Sinngehalt ihrer  Entscheidung. Tatsächlich: es geht nicht um die Person, es geht der Institution  um sich selbst – es muss ihr um sich selbst gehen.  Mit diesen Überlegungen kann  eine Beobachtung direkt verbunden werden. Die katholische Kirche und mit ihr –  meines Wissens – alle anderen Kirchen lehren den Vorrang der Gemeinschaft vor  der Person. Die Kirche lehrt den >Leib des Herrn<; sie lehrt nicht den  Leib der Person. Die Kirche lehrt die Notwendigkeit der Einheit des Leibes des  Herrn, sie lehrt die notwendige Einheit des Glaubens; sie lehnt strikt die  Vielfalt der Personen ab. Alle Personen lehrt sie als gleich in Gott und in der  Kirche, wenn auch mit verschiedenen Gaben ausgestattet. Aber die Gaben sind zu  nutzen für den Leib des Herrn, nicht aber für die Person, die sich dem Leib  unterzuordnen, sich in den Leib einzugliedern hat. Sie fordert die  Einheitlichkeit des Glaubens: alle Personen sollen gleich glauben; obwohl die  Einhaltung der Forderung faktisch unmöglich ist. Wie soll eine Person gleich  glauben wie ihr Nachbar? Die katholische Kirche lehrt den Vorrang des Leibes  des Herrn vor der Person; es ist die einzige Möglichkeit, die Institution über  die Person zu stellen und damit das Sein der Institution zu gewährleisten.  Konsequent lehrt die Kirche daher auch den Primat des Staates über die Person.  Der Staat setzt die Gesetze und Verordnungen über die Person, die Person ist  immer wertlos. Sie muss entwertet werden, um den entscheidenden Wert der Person  zu überdecken: sie ist es, von der alle Institution abhängig ist.  Eine andere Beobachtung  ergänzt diese Entdeckung. Lesen wir die Protokolle von Sitzungen des  Bundestages, die Protokolle von – neudeutsch – Hearings von Fachleuten, so  fällt ein immer gleicher Tonfall auf. So gut wie alle Redner schließen die  einfache Tatsache aus ihren Berichten aus, dass sie selbst von dem, was sie  vortragen, einmal betroffen sein könnten – und dann möglicherweise völlig  anders denken würden. Alle Redner nehmen faktisch eine Teilung ihrer selbst  vor: sie trennen ihre Funktion in einer Institution von ihrem Leib; sie werden  zu Funktionsteilen ihrer Institution, ihres Verbandes, völlig losgelöst von  sich selbst, von ihrem eigenen Willen, von eigener Ratio und Intellekt.  Vor diesem Hintergrund  erscheint die rechtliche und moralische Wertung des Problems des Todes eines  Menschen in einem völlig anderen Licht. Recht und Moral sind gesellschaftliche  Regeln, denen sich die einzelne Person unterwerfen soll, um ein  gemeinschaftliches Leben möglich zu machen. Verstöße gegen Rechtsnormen werden  bestraft, Verstöße gegen moralische Regeln werden mit gesellschaftlicher  Ächtung geahndet, in der Person führen aber selbst erkannte Verstöße zur  Beschämung der Person selbst. Die Gesellschaft kann aber nicht in den  Todesbereich vorstoßen, daher verlieren hier Recht und Moral für das sterbende  Individuum jegliche Wirkung. Wer sich selbst tötet, den kann eine auf  Selbstmord ausgesetzte Strafe nicht mehr erreichen. Wer sich im Tode um die  Moral nicht schert, den kann die Wirkung seines amoralischen Verhaltens nicht  mehr interessieren. Wer im Tod an ein Leben durch den Tod hindurch glaubt, den  interessieren die Glaubensvorschriften der Kirchen nicht mehr; er ist durch  keine Predigt mehr erreichbar. Im Gegenteil wird im Sterben jegliches Recht,  jegliche Moral, jeglicher Glaubenssatz zu einem Irrealis für den Sterbenden.  Jeder Versuch, einem Sterbenden, einem Todkranken noch mit Rechtskonstrukten,  Moralvorgaben und Glaubensgeheimnissen zu traktieren, macht den Traktierenden  vor dem Sterbenden lächerlich.   Dennoch gibt es rechtliche,  moralische und kirchliche Vorschriften für das Verhalten zum Tod. Offenbar ist  es für eine Institution wie Staat und Kirche zwingend, sich mit diesem Thema zu  beschäftigen in der Form, den Personen Vorschriften zu machen. Weil die  Institution allerdings nicht den eigenen Tod kennt, ihn aber fürchten muss bei  den Individuen, so ist die Beschäftigung einer Institution gekennzeichnet nicht  durch die Beschäftigung mit dem Tod, sondern alle Beschäftigung mit dem Tod  zielt darauf ab, die Individuen von der Beschäftigung mit dem eigenen Tod  abzuhalten. Sind Personen bereits im Leben – also vor der Situation des eigenen  Sterbens – in der Lage, die Notwendigkeit des eigenen Todes zu akzeptieren und  in ihr Leben bewusst einzubauen, so muss diese Akzeptanz notwendig  entscheidendes in ihrer Moral, in ihrem Glauben und in ihrem eigenen Handeln  verändern. Sie sind in der Lage, die von alle gepredigte Unterordnung unter  Kirche, Staat und Bürokratie als unsinnig zu erkennen, als im Interesse der  Genannten liegend, nicht aber den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend zu  erkennen. Die den Tod bewusst akzeptierende Person kann mit dem Tode rechnen,  ist nicht mehr gezwungen, jegliche Behandlung über sich ergehen zu lassen  allein aus Angst vor dem Tod, die eine verzweifelte Hoffnung in die Kunst der  Medizin zu Folge hat, die diese nicht erfüllen kann, die die Mediziner aber zu  Göttern des verzweifelt Lebenden macht. Die den Tod bewusst akzeptierende  Person erkennt die Personen in den Institutionen als Personen, kann sie aus  ihrer Funktion als Funktionär herausholen. Sind Funktionen unangreifbar, so  sind es Personen nicht. Eine Auseinandersetzung mit einer Regierung ist kaum  möglich für einen einfachen Bürger oder Untertanen. Anders aber ist eine  Auseinandersetzung mit einer Person X, die Abgeordneter des Bundestages ist,  problemlos möglich. Eine Auseinandersetzung mit der Bürokratie ist kaum  möglich, aber eine Auseinandersetzung mit der Person B in einer Bürokratie ist  durchaus möglich. Eine Institution hat kein Gesicht, ist eine Person aber in  der Lage, ein Gesicht in der Institution zu identifizieren und direkt  anzusprechen, so ist eine Auseinandersetzung möglich, von Person zu Person. So  ist das Verhalten von Personen in Institutionen nicht wirklich verwunderlich,  wenn sie nicht als Person auftreten, sondern sich hinter der Fassade der  Institution verbergen.  Das Funktionieren von  Menschen in Institutionen hat – natürlich – Folgen. So wird von einem Vertrauensverhältnis  von Patienten zu Ärzten gesprochen, das notwendig sei zur Heilung von  Erkrankungen. Allein, in ein solches Vertrauensverhältnis muss sich notwendig  auch die Person des Arztes hinein begeben. Tatsächlich aber erfolgt genau  dieses persönliche Vertrauen des Arztes zum Patienten nicht, sondern dieses  Verhältnis wird so effektiv wie möglich unterdrückt, organisatorisch vermieden.  Selbstverständlich wird als Sinn der Vermeidung der Patient vorgegeben, so wenn  die Organisation der Organtransplantation, also der Weg von der Entnahme bis  zur Transplantation in möglichst kleine Schritte aufgeteilt wird, die dann von  möglichst jeweils verschiedenen Personen abgearbeitet werden, ohne das diese  jeweils von den vorherigen oder den nachfolgenden wissen. Tatsächlich wird so  aber auch jede Verantwortung eines einzelnen aufgehoben auch gegenüber dem  Transplantierten. Gleichzeitig – und das ist hier entscheidend – erhält der  Transplantierte keinen persönlichen Ansprechpartner; eine verantwortliche  anzusprechende Person wird ihm systematisch-organisatorisch vorenthalten. Was  als Schutz des Patienten deklariert wird, ist faktisch seine präventive  Entmachtung; es ist ein Schutz der Personen im System vor einem Patienten, der  den Personen in der Institution dann überlegen ist, wenn er den Tod als Teil  seines Lebens akzeptiert hat. Eine Überlegenheit des Patienten über den Arzt,  des Bürgers über den Bürokraten, des Glaubenden über den Priester; des Rekruten  über den Offizier; sie darf es nicht geben. Alle Hierarchie wäre auf den Kopf  gestellt, alle Machtverhältnisse wären dahin, alle Lehre von Staat und Kirche  gelten nicht mehr. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Es darf keine  Patienten geben, die mit dem Tod umzugehen verstehen und damit alle –  offiziellen - Überlegungen von Theologen, von Medizinern, von Juristen und  Bürokraten, von Moralisten und Ethikern ad absurdum führen. Nicht die  individuelle Ablehnung einer Transplantation ist das Problem, sondern die sich  darin dokumentierende Möglichkeit der nicht möglichen Auflehnung gegen die  Doktrin einer jeden Institution. Nicht die Patientenverfügung zur Ablehnung  einer Behandlung ist das Problem, sondern die darin sich dokumentierende  Möglichkeit einer nicht möglichen persönlichen Kompetenz zum Umgang mit dem  eigenen Sterben und damit mit dem eigenen Leben. Alles theoretisieren von  Menschenwürde, von würdigem Umgang mit dem Tod, von Menschenrechten, von  Gemeinschaft der Glaubenden, von Kirche wird in diesem Moment zu Makulatur:  wenn der Mensch als Person seinen Tod in das Leben integriert; umgekehrt also  sein Leben vom Standpunkt seines Todes aus beobachtet, müssen sich die  Lebensverhältnisse umkehren; nicht mehr Moral und Recht, nicht mehr Bürokratie  und Kirche werden als übermächtig angesehen, sondern die Menschen in ihr werden  zu kleinen Figuren, nicht größer als der sich selbst Beobachtende. In dem der  sich Beobachtende diesen Aussichtspunkt auf sich selbst gewinnt, gewinnt er die  Möglichkeit, nach seinen Regeln zu spielen, er erhält Aktionsbereiche, in dem  ihm kein Bürokrat, kein Priester folgen kann, von dem er aus aber agieren kann  und so dem Lebensspiel seine Regeln aufzudrücken vermag, nicht aber nach den  Regeln anderer, sich mächtig Fühlender zu agieren. |